• Fragmente einer Annäherung, Boris Nieslony, 2012

    Posted on 16. Februar 2013 by admin in Wort 2012.

    Der Tisch – Ethnographische und anthropognostische Belege
    Semiotik einer Tischordnung: die Gnade an sich

    Hannah Arendt hat einmal die Funktion, um nicht zu sagen, die Dienstleistung des öffentlichen Raumes mit der eines Tisches in einer Versammlung verglichen: Der Tisch trenne die Menschen und verhindere, dass sie übereinander herfallen, aber als gemeinsamer Gegenstand verbinde er sie zugleich. Das Bild des verschwundenen Tisches, und sei es als Verhandlungstisch verschiedenster Partner, der trennt und dennoch verbindet, bleibt ein faszinierender Gedanke – bis der Stau (der Begegnung) sich auflöst und der „Verkehr“ uns fortreißt. In Abwandlung – oder eher in Entwendung – eines Philosophenwortes möchte ich sagen:  Der Tisch hat 4 Seiten; eine für die Einsamkeit, zwei für das intime Gespräch, drei für die Konspiration und vier für die Geselligkeit.
    Der Tisch hat auch vier Ecken, an denen sich gestoßen wird:
    • die eine Ecke nennt sich das Gespräch – keine Hierarchie zwischen Künstler (Kunst) und Öffentlichkeit, jeder Partizipierende ist auf Gedeih und Verderb an der Realisation und Qualität gebunden. Es steht oder fällt mit ihm – die Verantwortung jedes Knoten eines Netzes.
    • die zweite Ecke – die Gabe – den Gegenstand der Achtung aus dem Grund der Dinge herausheben und auf eine (Sockel, Altar) heben, der zur Gabe wird und mich als Gabe zeichnet.
    • die dritte Ecke – die Verbindung in der Distanz, das Gespräch wird zivilisatorisches Handeln, die Kommunikation ist Abmachung und Vertrag.
    • die vierte – soziale Ordnung – die Gastfreundschaft – die Gabe als Handlung, das Ritual, die Performance, das Gedächtnis, die Kultur der Begegnung.
    Der Tisch hat auch vier Beine (meistens) und es gibt warme Tische und es gibt kalte Tische.

    Was ist mit den „Runden Tischen“?
    Reflexionen auf die moderne Historie der Bildfindungen webten immer am Netz der ephemeren Lösungen. Ihre performativen Orte sind und waren Tische, Tische des Gesprächs, Tafelrunden, an denen widerstreitende Weltsichten aufgetischt wurden, zerlegt, verteilt und gekostet, faustdick unter jedes Tuch geschoben. Disparate Geister erkennen sich dort. Mündliche Verständigungen verfliegen im Wind und sind doch am Leib orientiert. Noch im Eifer sind sie schon Träger des Gedächtnisses aller Bilderkämpfe.
    Den Tisch als Wort, als Idee, als Gegenstand in all seinen Bedeutungen und Erscheinungsformen zu vergegenwärtigen, ihn gewissermaßen zu erschöpfen und eben dadurch noch einmal erschaffen, ihn also vollständig und endgültig auszusagen, ohne bloß Aussagen über ihn zu machen, dies sind die Gedanken zu dem Projekt „Tisch“ und zu seiner temporären Form, die TISCHTRANSAKTION.

    Tisch: gemeinsamer Mittelpunkt. Wenn zentrifugal implodierend, dann ein negativer Tisch, der als gemeinsamer Fluchtpunkt gilt, z.B. das Fernsehgerät. Kein Mensch kann eine Grammatik entwickeln, sie ist logischerweise immer eine Systematik vorhandener Sprache, und ich weiß bis jetzt nicht, was es an „Sprache der Tische“ wirklich alles gibt.

    Boris Nieslony, 2012

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