…Was aber passiert bei einer TISCHTRANSAKTION? Zunächst stellt sie einen Eingriff in normale Alltagsabläufe dar. Eine Veränderung der gewohnten Lebenswelt wird künstlich herbeigeführt. So wird der Austausch des eigenen Tisches mit einem fremden zum Anstoß einer neuen Bewegung: „Erst flitzen Worte, Briefe, Telefonate, E-mails, dann wanderten Tische, zuletzt sind die Menschen unterwegs einander zu besuchen, einem uralten Interesse nach.“
In der Regel ist der Tisch, vor allem der Esstisch, ein eher statischer Gegenstand. Oft steht er jahrelang oder gar jahrzehntelang an ein und derselben Stelle. Wenn er diese verlässt und ein neuer Tisch seinen Platz einnimmt, wird eine scheinbar unveränderliche und als selbstver-ständlich erlebte Situation aufgebrochen. Durch diesen Impuls, der neue Möglichkeiten und Bewegungsfreiheiten eröffnet, wird die Eigendynamik des Projekts TISCHTRANSAKTION aus-gelöst. Auch wenn die Aktion nach einigen Wochen beendet wird, bleibt das Bewusstsein dieser Möglichkeiten zurück, so dass die Veränderung dauerhaft bleiben kann.
Der Austausch der Tische zieht einen Austausch der Menschen nach sich, die sich gegenseitig besuchen. So entstehen neue Tischgemeinschaften und damit neue soziale Bindungen und Konstellationen: „Dieses profane, der menschlichen Bewegung gewidmete Tischerücken, von Ort zu Ort, ist auch ein verrücken der Gespräche, ein verrücken der Tafelrunden und runden Tische und ein rücken der widerstreitenden Weltsichten, aufgetischt, zerlegt, verteilt und mit bis dahin unbekannten Gästen ge- und verkostet.“ Durch das Aufeinandertreffen zuvor fremder Ansichten und Thesen kann eine produktive Situation entstehen, die es möglich macht, zu ganz neuen Schlüssen und Einsichten zu gelangen. Die TISCHTRANSAKTIONäre treffen mit Menschen zusammen, die sie sonst nie kennengelernt hätten. So haben sie die Möglichkeit, neue Türen aufzustoßen und ihren Horizont zu erweitern. Um so einen wichtigen Gegenstand, wie den Tisch, tauschen zu können, sind Vertrauen und Anerkennung nötig. Ohne sie ist der Aufbau einer reziproken Beziehung nicht möglich. Tauscht man seinen Tisch also mit dem einer anderen Person, ist der erste Schritt zum Aufbau einer Beziehung schon getan.
Bei der TISCHTRANSAKTION wird ein fremder Tisch für ein paar Wochen zum Mittelpunkt von Leben, Alltag und Gemeinschaft. So wird die Bedeutung des Tisches als Zentrum der menschlichen Begegnung ins Bewusstsein gerückt. Die Tisch-Tauscher werden auch ihren eigenen Tisch nach Ende des Projekts anders wahrnehmen und vielleicht anders nutzen. Der Austausch der Tische macht deutlich, wie wichtig sie, vor allem für die menschliche Gemeinschaft, sind. Boris Nieslony bezeichnet die Begegnung mit anderen als „uraltes Interesse“. Eine Teilnehmerin der zweiten TISCHTRANSAKTION in Süddeutschland betont, dass aus dem Zusammentreffen mit anderen auch eine Begegnung mit sich selbst entspringen kann.
Indem die TISCHTRANSAKTION den Tisch als Ort der Begegnung hervorhebt, kann sie zu einem neuen Verhältnis zur Gemeinschaft am Tisch führen. Sie zeigt, dass der Tisch eine Chance ist, mehr Begegnung und Gemeinschaft stattfinden zu lassen…
Katharina Stockmann
Aus: Der Tisch als Ort von Gemeinschaft, 2007, Diplomarbeit, Universität Hildesheim, S.14-19